Zur Brechtrezeption in der Türkei

Forschungsreise nach Istanbul im Zuge einer Masterarbeit am Institut für deutsche Philologie.

von Michaela Taubenberger | 30. November 2018

Vorbereitungen

Der Ausgang meines Vorhabens, die Istanbuler Archive nach türkischen Literatur- und Theaterzeitschriften zu durchstöbern, war jedoch alles andere als gewiss: Ob meine Forschungen zu relevanten Ergebnissen führen würden oder ob ich vielmehr 10 Tage meiner knapp bemessenen Schreibzeit in den Wind setzen würde, war nicht abzusehen. Ich kannte mich ja gar nicht aus in den Archiven und Bibliotheken Istanbuls, wusste nicht, wie lange die Wartezeiten für bestellte Medien sein würden und ob man mir überhaupt Zugang zu den einschlägigen Quellen gewähren würde. Zusätzlich beunruhigte mich die Tatsache, dass der einzig mögliche Termin für meine Reise in den Ramadan fiel, da ich zunächst keine Vorstellung davon hatte, inwiefern die Istanbuler – ähnlich wie die Münchner in der Weihnachtszeit oder an heißen Sommertagen – die Geschwindigkeit ihres Alltagslebens drosseln.

Um ein Misslingen so weit als möglich auszuschließen, habe ich versucht, meinen Aufenthalt in Istanbul sehr genau zu planen. Ich habe die einschlägigen Datenbanken sehr genau durchforstet, um bereits eine präzise Vorstellung von den verschiedenen Anlaufstellen und den gesuchten Quellen zu haben, wobei ich natürlich schon die Hoffnung hatte, auch Funde zu machen, die über meine Katalogrecherche hinausgehen würden. Eine Kontaktaufnahme zu den türkischen Institutionen war von Deutschland aus schwierig. Nur selten habe ich eine Antwort auf meine Mails erhalten und wenn, dann erst nach sehr langer Zeit. Das Istanbuler Orientinstitut hingegen hat mich auch über die Distanz hinweg sehr bei meinen Vorbereitungen unterstützt.

Diese Unterstützung hat mich schließlich auch dazu bewogen, eine Unterkunft in Cihangir, in Fußnähe des Instituts und der zugehörigen Bibliothek zu wählen. Zum einen gab es auch dort einige Bücher, die mir für mein Thema  von Interesse zu sein schienen, zum anderen dachte ich mir, ich könnte, falls alle Stricke reißen und ich wirklich nirgends Erfolg haben würde, die zehn Tage dort in der Bibliothek an einem Tisch mit Bosporusblick an meiner Masterarbeit schreiben.

Zwar wusste ich, dass ich im Orientinstitut einen Scanner vorfinden würde, vorsichtshalber habe ich aber auch eine Digitalkamera und eine ausreichende Anzahl an USB-Sticks mitgenommen, was sich als kluge Entscheidung erwiesen hat. Wider Erwarten bin ich in den 10 Tagen auf derart viele Quellen gestoßen, dass die Geschwindigkeit bei der Diglitalisierung derselben tatsächlich zu einem wichtigen Faktor wurde. Einen Taschenscanner würde ich auf keinen Fall empfehlen: das Scannen dauert mit diesen Geräten viel zu lange. Das Smartphone ist eine Alternative, beansprucht aber doch noch etwas mehr Zeit für das Scharfstellen der Schrift.

Recherche

Insgesamt habe ich, neben dem Orientinstitut, in vier Bibliotheken recherchiert, wobei ich zunächst einmal die drei staatlich getragenen aufgesucht habe, die sich im Zentrum der Stadt befinden: das Atatürk Kitaplığı in der Nähe des Taksim Platzes, die Beyazit Kütüphanesi im Stadtteil Fatih und somit im Herzen der Altstadt und die Istanbul Üniversitesi Kütüphanesi, die ebenfalls in Fatih liegt. In allen drei Bibliotheken war das Verfahren ähnlich. Zugang gab es nur nach Hinterlegen des Personalausweises, vorzüglich des Reisepasses. Im Atatürk Kitaplığı muss man dem Pförtner außerdem sagen, in welchem Lesesaal man arbeiten möchte und gegebenenfalls warten, bis ein Tisch frei wird. Der Arbeitsplatz wird den Wartenden dann sobald als möglich über eine Nummer zugewiesen. Wichtig ist auch zu beachten, dass man die Bibliotheken nicht verlassen darf, ohne seinen Ausweis abzuholen und sich somit abzumelden; im Atatürk Kitaplığı muss man damit leider auch seinen, unter Umständen durch langes Warten ergatterten, Platz aufgeben. An meinem ersten Tag im Atatürk Kitaplığı bin ich unwissend aus der Bibliothek hinausspaziert, um zu Mittag zu essen, und wurde prompt von einem Security verfolgt, der mir auf mein Nachfragen hin erklärte, dass hungrige Studenten das Essen in die Bibliothek bestellen, um es dort im dazugehörigen Garten oder in der Cafeteria zu verspeisen. Bei Rucksäcken, Taschen und Mänteln ist man in Istanbul hingegen weniger streng als in München: Sie dürfen (außer in der Beyazit Kütüphanesi) ohne weiteres mit in den Lesesaal genommen werden. Auch Getränke und Snacks habe ich bei manchen auf den Tischen liegen sehen, habe mich aber selbst nicht getraut auszutesten, wie weit die Toleranz diesbezüglich reicht.

Die Bestellung der Medien war in allen drei Bibliotheken sehr einfach und ging wirklich überraschend schnell. Da diese, anders als in den Münchner Bibliotheken, alle im selben Gebäude aufbewahrt werden, betrug die Wartezeit nie mehr als eine halbe Stunde. Zwar konnte ich immer nur eine begrenzte Anzahl an Medien bestellen, doch durch die kurzen Wartezeiten, konnte ich die wenigen Tage, die mir zur Verfügung standen, wirklich sehr gut nutzen. Den Ramadan habe ich bezüglich meiner Arbeit wenn überhaupt nur positiv bemerkt: das Atatürk Kitaplığı hatte längere Öffnungszeiten, um fastenden Studierenden die Möglichkeit zu geben, nachts nach dem Fastenbrechen zu arbeiten.

Was meine Arbeit sehr erleichtert hat, war die Möglichkeit, die Quellen mit meiner Digitalkamera abzufotografieren. Da es sich hierbei größtenteils um Zeitschriften aus den 60er Jahren handelte, gab es auch keine urheberrechtlichen Beschränkungen. 

Anders ist es mit neueren Publikationen: Diese muss man, gegen einen nicht allzu hohen Betrag (ich meine, es waren umgerechnet etwa 3 Cent pro Photo), von einer zuständigen Person abfotografieren lassen. In der Bibliothek der Istanbul Üniversitesi gibt es Scanner und außerdem eine Auswahl an bereits digitalisierten Zeitschriften, die man sich auf Nachfrage direkt auf einem USB-Stick speichern lassen kann.

Nesin Vakfı

Doch trotz des Erfolgs der ersten Tage, gab es etwas, was mich noch immer am Ausgang meiner Reise zweifeln ließ: Die mitunter wichtigsten Zeitschriften für meine Arbeit waren in keiner der oben genannten Bibliotheken zu finden. Den Katalogen zufolge waren sie entweder nur in Ankara oder im sogenannten Nesin Vakfı in Catalca zugänglich – einem von meiner Unterkunft mit den öffentlichen Verkehrsmitteln drei Stunden entfernten Vorort von Istanbul. Um sicher zu gehen, dass ich nach der langen (und abenteuerlichen Fahrt mit verschiedenen Bussen und Sammeltaxis) nicht vor verschlossenen Türen stehen würde, bat ich Frau Menz im Orientinstitut darum, für mich dort anzurufen und einen Termin zu vereinbaren (auch um sprachliche Missverständnisse auszuschließen). Wie immer war sie sehr freundlich und hat mir gerne weitergeholfen: Am nächsten Tag, dem 5. Tag meines Aufenthalts, hatte ich einen Termin in der Bibliothek des Nesin Vakfı.

Dank der netten Bus- und Sammeltaxifahrer (die mir meistens schon von Weitem angesehen haben, wo ich hinwollte?), war es erstaunlich einfach, diese abgeschiedene Bibliothek zu finden: Ich stand tatsächlich nach mehr oder weniger drei Stunden vor einem großen, bunt bemalten Anwesen, auf dem unverkennbar Nesin Vakfı stand. Von einer kurzen Onlinerecherche und später durch die sehr netten Erklärungen und Hausführungen des Bibliothekars habe ich erfahren, dass es sich um eine von Aziz Nesin, dem berühmten Schriftsteller, gegründete Stiftung handelt. Bereits zu Lebzeiten hatte Aziz Nesin in seiner Villa Kinder aus schwierigen Verhältnissen, in denen sie keinen Zugang zu Bildung hatten, aufgenommen und sie durch ein humanistisches pädagogisches Konzept gefördert. Durch die Einnahmen aus dem Verkauf seiner literarischen Werke, die Mieteinnahmen verschiedener Immobilien, die Aziz Nesin zu Lebzeiten erworben hat, und Spenden lässt sich das Projekt bis heute fortführen. Wie in einer Großfamilie leben die 42 Kinder unterschiedlichen Alters mit ihren Erziehern und anderen Mitarbeitern der Stiftung in der Villa des Schriftstellers; sie teilen sich die Aufgaben des Alltags, essen, lernen und musizieren gemeinsam. Besuchern wie mir steht nicht nur die beachtliche Bibliothek zu Recherchearbeiten zur Verfügung, auch die Kunstsammlung, die vor allem aus moderner türkischer Kunst besteht, kann in der Villa bewundert werden.

Eine systematische Onlinerecherche ist in der Bibliothek der Stiftung bisher nur sehr begrenzt möglich. Doch der engagierte Bibliothekar kennt wirklich jeden Winkel des Hauses und nahezu jedes Buch, das sich darin befindet. Nachdem ich ihm von meinem Thema erzählt habe, hat er mich auf zahlreiche Quellen aufmerksam gemacht, die ich online oder in der Sekundärliteratur niemals gefunden hätte. Das hat dazu geführt, dass ich die ganzen restlichen Tage dort verbracht habe und Berge von Literatur- und Theaterzeitschriften einsehen und digitalisieren konnte. Zu dem täglichen Mittagessen, welches zum Großteil aus dem Gemüse des großen Gartens und der Milch der Nachbarskühe bestand, sowie zu Tee, Kaffee und Keksen lud man mich wie selbstverständlich ein (lediglich mit einer kleinen Studentenspende konnte ich mich dafür bedanken). Die tägliche Anfahrt hat sich wirklich gelohnt, nicht nur wegen der Quellen für meine Masterarbeit, sondern auch wegen der sehenswerten Villa und ihrer Kunstschätze, wegen der interessanten Gespräche und der netten Menschen, die ich dort getroffen habe.

Zu dem täglichen Mittagessen, welches zum Großteil aus dem Gemüse des großen Gartens und der Milch der Nachbarskühe bestand, sowie zu Tee, Kaffee und Keksen lud man mich wie selbstverständlich ein (lediglich mit einer kleinen Studentenspende konnte ich mich dafür bedanken). Die tägliche Anfahrt hat sich wirklich gelohnt, nicht nur wegen der Quellen für meine Masterarbeit, sondern auch wegen der sehenswerten Villa und ihrer Kunstschätze, wegen der interessanten Gespräche und der netten Menschen, die ich dort getroffen habe.

Nützliche und interessante Links

Orientinstitut Istanbul (mit einer Auflistung der wichtigsten Bibliothekskataloge)
https://www.oiist.org/

Nesin Vakfı
https://www.nesinvakfi.org/

Hier ein kleiner Film über das Nesin Vakfı (leider nur auf Türkisch)
https://www.youtube.com/watch?v=O6oQo7n6Hco

Atatürk Kitapligi
http://ataturkkitapligi.ibb.gov.tr/ataturkkitapligi/index.php

Beyazit Kütüphanesi
http://www.beyazitdevletkutup.gov.tr/

Istanbul Üniversitesi Kütüphanesi
http://kutuphane.istanbul.edu.tr/tr/_